DIE JURY vergibt den „Frankfurter Lyrik-Preis“ an Sebastian Ungers Band „Die Tiere wissen noch nicht Bescheid“ (Matthes & Seitz 2018). Die Auszeichnung ist mit 2000 Euro dotiert.

Begründung der JURY: Der erste „Frankfurter Lyrik-Preis“ geht an Sebastian Unger für seinen Band „Die Tiere wissen noch nicht Bescheid“. Seine Gedichte schaffen Welten, in denen die Grenzen zwischen Organischem und Anorganischem, zwischen Körper und Sprache neu figuriert werden. Die poetische Plausibilität, mit der das geschieht, hat die Jury beeindruckt.“
Frankfurt am Main, 8. März 2019

DIE JURY:
Maren Jäger (Literaturwissenschaftlerin, Jurorin)
Moritz Malsch (netzwerk freie literaturszene Berlin, Mitbegründer des Literaturhauses lettrétage)
Alf Mentzer (Literaturwissenschaftler, Rundfunkredakteur)
Sabine Scho (Dichterin, Jurorin)
Beate Tröger  (freie Literaturkritikerin, Jurorin)
Moderation: Jörg Feßmann (Akademie der Künste, Berlin)

DIE JURY. Öffentliche Jurysitzung

Bericht von Maren Jäger und Jörg Feßmann

DIE JURY hatte eine kaum absehbare Zahl von Aufgaben in drei Runden zu bewältigen:

1. Das aktuelle Literaturpreisgeschehen kritisch zu beleuchten, seine Untiefen und Unwägbarkeiten auszuloten, seine heikle Positionierung zwischen Ausgleichsökonomie (‚poetische Grundsicherung‘), Anerkennung (Kanonisierung) und Aberkennung (Selektion), zwischen Aufmerksamkeitssteuerung und Event – und eine positive und konstruktive Kritik, bestenfalls ein Alternativmodell zu formulieren,

2. über Kriterien, Preiswürdigkeit, Vorbehalte, Eigen-Sinn zu streiten – und

3. im öffentlichen Raum über verschiedene Vorschläge zu debattieren und einen Preis von 2.000 € auszuloben.

Viel zu tun und viel Freiraum, den DIE JURY nach Kräften in der verfügbaren Zeit genutzt hat.

Die ideale Jury – wenn es sie gäbe, was zeichnet sie aus? Und wen, wofür, zu welchem Zweck? Neutralität und Verantwortung, Kompetenz, Engagement und Lernfähigkeit – das ist es, was sie von Algorithmen unterscheidet, die das nach Optimierungsparametern kalkulierte ‚Beste‘ selegieren und das Suboptimale aussondern. DIE JURY eint die Gewissheit, dass der einzelne Juror niemals so klug ist wie eine mehrköpfige und mehrstimmige Jury, die in umsichtiger Zusammensetzung zu einem für alle Beteiligten beglückenden Konsens gelangen kann. Eine ideale Jury, so das Zwischenfazit, lernt voneinander – und von Gedichten, die die eigenen Kriterien auf den Kopf (oder auf die Füße) stellen.

Dass auch eine ideale Jury allzu oft in Kollision mit der Realität gerät, sich in einem überschaubaren Feld Befangenheiten schwerlich vermeiden (wiewohl transparent machen) lassen, dass Texte, die auf Gattungsgrenzen oder zwischen den Sprachen balancieren, sich nicht zu einem Gedichtband versammeln oder sich dem Preisspektakel widersetzen, oft ins Hintertreffen geraten, zählt zu den strukturellen Herausforderungen, denen durch einen neuen Preis gezielt entgegenzuwirken wäre.

Der Wettstreit steht in einem fundamentalen Widerspruch zur ahierarchischen Offenheit von Lyrik, und das Aufeinanderhetzen von Gedichten, die die Kriterien, an denen sie zu messen sind, selbst erst mitbringen, mutet nicht selten an wie ein Wettstreit einer Basketballmannschaft gegen eine Kugelstoßerin. Eine Jury, die sich nicht einer ein für allemal fixierten Satzung unterwirft, sondern sich immer wieder von Neuem ihre Entscheidungsgrundlage schafft, hält so den Raum für die Verschiedenartigkeit und Entwicklung der Lyrik offen. Und wenn sie öffentlich streitet – so die Einsicht des langen Tages –, begibt sie sich zwar des diskursiven Schutzraums, doch sie gewährleistet Transparenz, Ethos, Wertschätzung statt Ausschluss – und ist dazu gezwungen, Präferenzen, Idiosynkrasien zu zügeln, die eigenen Kriterien argumentativ abzusichern und zu hinterfragen – und ihre Grenzen zu erkennen.

DIE JURY einigte sich nach längerer Diskussion einstimmig, den Preis „Frankfurter Lyrik-Preis“ zu nennen. Die erste Vergabe geht mit der Aufforderung an die Stadt Frankfurt einher, diesen künftig alle zwei Jahre im Rahmen der Frankfurter Lyriktage zu vergeben und damit beides, den Preis selbst und die Lyriktage, aufzuwerten. Als Ergebnis der intensiven Diskussionen plädiert DIE JURY für eine auch in Zukunft fünfköpfige Zusammensetzung; diese Personenzahl bietet nach unserem Dafürhalten die Voraussetzung für ein zugleich konzentriertes und doch vielstimmiges Verfahren.

2.000 €: Eine vergleichsweise geringe Preissumme – aber genug, um ein Zeichen zu setzen, eine Anerkennung auszusprechen, einen Anfang zu machen. Eine Verlosung des Preises unter den Vorschlägen wurde zunächst ebenso erwogen und verworfen wie eine Verlagssubvention, die Auszeichnung eines einzelnen Gedichts, die Aufteilung des Preises oder die Finanzierung eines Crowd-Funding, um die Preissumme respektabel zu machen. Aber: warum das schöne Geld (erstmal) der Lyrik wegnehmen?

DIE JURY stünde bereit, sich zur Konsolidierung des „Frankfurter Lyrik-Preises“ noch einmal in dieser Konstellation zur Verfügung zu stellen, empfiehlt aber einen Wechsel nach jeder zweiten oder dritten Vergabe.

Mit den fünf nominierten Bänden lagen fünf preiswürdige Titel vor, über die DIE JURY kompetent urteilen konnte und aus denen sie Sebastian Ungers Band „Die Tiere wissen noch nicht Bescheid“ auswählte.

Fokus Lyrik vergibt erstmals den „Frankfurter Lyrik-Preis“ und überantwortet diesen vertrauensvoll der Stadt.

Ein Anfang ist gemacht.

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